Am sozialen Vergleich kommt keiner vorbei 

Am sozialen Vergleich kommt keiner vorbei. Manchmal hört man den Tipp: „Hör auf, dich zu vergleichen.“ Da zucke ich immer zusammen, hab einfach zu viel Forschungsliteratur darüber gelesen. Mein spontaner Gedanke dazu: Ich halte es für unmöglich. Denn Vergleiche sind immer und überall, wir kriegen die meisten davon nicht einmal mit. 

Ich hab mit Muriel und Barbara darüber gesprochen vor einiger Zeit in unserer Podcastfolge über soziale Vergleiche.

Dabei reden wir auch über ein sehr lustiges Wahrnehmungsexperiment. Das geht so: Wenn man in einem völlig dunklen Raum sitzt und jemand einen einzigen Lichtpunkt an die dunkle Wand vor uns projiziert – nur EINEN Lichtpunkt, sonst nichts – dann sieht es für uns aus, als würde sich dieser Punkt bewegen, hin und her, fünf, zehn, zwanzig oder gar dreißig Zentimeter weit. Das ist ein seltsames Phänomen, denn in Wahrheit bewegt sich der Punkt überhaupt nicht. 

Diese Täuschung nennt man den „autokinetischen Effekt“. Das Wort kommt aus dem Griechischen. „Auto“ heißt „selbst“ und „kinetisch“ heißt „die Bewegung betreffend“. Der Effekt entsteht durch die winzigen Bewegungen unserer Augen. Es ist also nicht der Punkt, der sich bewegt, es sind unsere Augen. Und … mit diesem autokinetischen Effekt kann man nicht nur alle möglichen lustigen und wahnsinnig erhellenden Studien über sozialen Normen anstellen, sondern auch zeigen, dass unser Gehirn in seiner ganzen Deutung der Welt auf Vergleiche angewiesen ist. Sobald uns ein Vergleichspunkt fehlt, ein Bezugspunkt, können wir nicht mal mehr richtig GUCKEN. Wir brauchen Vergleiche, um uns zu orientieren. Sobald man uns nämlich in diesem dunklen Raum noch einen zweiten Lichtpunkt zeigt, stehen beide Punkte vollkommen still. Es ist wie Zauberei. Der Blick stabilisiert sich in unserem Bewusstsein, sobald da etwas ist, das den Reiz für uns vergleichbar macht, das ihn einordnet, ihn gewissermaßen verankert.

Der innere Vergleich, so lautet jedenfalls die Kernbotschaft unserer Podcastfolge, ist eine der wichtigsten und grundlegendsten Techniken, um uns in der Welt zurechtzufinden. Er ist viel fundamentaler, als die meisten glauben. Wir können gar nicht anders, als zu vergleichen. Unser Gehirn ist eine Vergleichsmaschine. Das gilt auch fürs Zwischenmenschliche: Am sozialen Vergleich kommt keiner vorbei. Nochmal anders gesagt: Ob ich groß bin oder klein, stark oder schwach, schnell oder langsam – all das erfahre ich nur über den Vergleich mit anderen.

Soziale Vergleiche gehen entweder nach oben (ich entdecke, dass jemand in etwas besser ist als ich) – oder sie gehen nach unten (ich entdecke, dass jemand in etwas weniger gut ist als ich). Aufwärts- und Abwärtsvergleiche passieren die ganze Zeit, sie passieren viel, viel häufiger, als uns bewusst ist. Und sie haben gut messbare und vorhersagbare Auswirkungen darauf, wie wir die Welt sehen und was wir vor allem über uns selbst denken. Es gibt sehr viele Studien darüber. Einige davon besprechen wir in unserer Podcastfolge.

Soziale Vergleiche begegnen mir manchmal auch im Coaching. Da sitzt jemand bei mir und macht sich fertig, fühlt sich klein und untüchtig für das ganze Leben, man kann da ja wirklich sehr ins Hadern kommen, ich auch, das sind sehr menschliche Zustände. Statt zu sagen: „Hör auf, dich zu vergleichen“, frage ich nach Dingen, die gut gelaufen sind im Leben, nach Momenten des Gelingens. Die gibt es. Eine Fülle an Gelingen. Das ist bei allen so, es ist kein Zaubertrick dahinter. Am sozialen Vergleich kommt keiner vorbei. Aber wir können uns zumindest in Teilen entscheiden, mit wem und in welchem Feld wir uns vergleichen wollen. Und wenn uns das schwerfällt, reden wir eben mit jemandem, der uns dabei hilft. Das können sehr stärkende Gespräche sein.

Eigentlich ist das die entscheidende Frage: Wen rufst Du an, wenn Du solche Gespräche brauchst?

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