Was hilft gegen Prüfungsangst und Lampenfieber?

Überall nahen die Abi-Klausuren, hin und wieder begegnet mir die Frage: Was hilft gegen Prüfungsangst und Lampenfieber? In unserem Audible-Podcast „Sag mal, du als Psychologin …“ haben wir in Staffel 1 eine Folge dazu gemacht, in der Barbara, Muriel und ich über ein paar Techniken und Studien dazu diskutieren. Muriel redet zum Beispiel über eine Technik aus der Kognitiven Verhaltenstherapie, das „Entkatastrophisieren“. Du überlegst: „Was wäre denn der Worst Case? Was ist das Schlimmste, das mir in der Klausur passieren kann?“ Mögliche Antwort: „Ich habe einen Blackout, mir fällt gar nichts ein.“ Nächste Frage: „Okay. Mal angenommen, genau das passiert – was passiert dann als nächstes? Was mache ich eigentlich, wenn ich einen Blackout habe?“ Muriel berichtet von einem Klienten, der nie bis zu diesem Punkt gedacht hat. Sein innerer Film ist immer im Moment der Katastrophe abgebrochen. Wenn wir im Kopf weitergehen, können wir erfahren, dass das Leben nicht mit dem Blackout endet, es geht weiter. Wir sterben nicht, wenn uns in diese Moment nichts einfällt. Das klingt banal, kann aber helfen, der Prüfung ihren Schrecken zu nehmen.

Mich hat – aus meiner Rolle als Wissenschaftsjournalist – auch der Exkurs in die Profi-Musik fasziniert. Was hilft gegen Prüfungsangst und Lampenfieber? Das fragen sich nicht zuletzt jene, die im Sinfonieorchester die Bratsche streichen, die Oboe blasen oder die Pauke trommeln. Ein befreundeter Musiker hat mir das mal so erklärt: Du spielst diesen einen Lauf schon seit vielen Jahren, du spielst ihn im Schlaf. Aber dann kommt dieser eine Auftritt, bei dem du dich genau an dieser Stelle verspielst. Und dann beim nächsten Gig, merkst du auf einmal, wie deine Hand ein paar Takte vor dieser Passage ihre Lockerheit verliert. Du verspielst dich wieder. Und ab dann geht es los mit dem Herzrasen vor dem Auftritt, dem trockenen Mund und dem kalten Schweiß, der dir plötzlich am Rückgrat entlang in die Unterhose rinnt. 

Er hat mir erzählt, dass sein Hausarzt ihm Betablocker verschrieben hat. Das sind Medikamente, die das Herz ruhiger schlagen lassen. Wenn du dann im Orchestergraben sitzt, erzählt mein Kumpel, spürst du auf einmal – hey! – dass der Puls ruhig bleibt, obwohl die angstbesetzte Stelle naht. Und tatsächlich: Du spielst die Passage locker durch, als wäre kein Publikum im Raum. Das machst du ein paar Mal, du vertraust wieder in deine Fähigkeiten, kannst die Pillen absetzen und deine Karriere geht weiter. So ging seine Erzählung.

Dieser Tage hat mich jemand gefragt: Wie viele Profis arbeiten eigentlich mit diesem Doping gegen Lampenfieber? Ich wusste es nicht aus dem Kopf, hab mir also ein paar neuere Studien dazu angesehen. In Kanada hat man mehr als 900 Profis aus den besten Orchestern des Landes befragt. 37,7 Prozent haben dabei angegeben, schon einem ihr Lampenfieber mit Betablockern bekämpft zu haben. Also mehr als ein Drittel. Das sind richtig viele, ich hätte nie gedacht, dass das so verbreitet ist.

Eine qualitative Studie aus den Niederlanden zitiert ein junges Talent zum Thema Betablocker: „It’s not like it makes you play better; it just gives you the confidence you can play the way you normally can.“

Eine US-Studie kam schon in den 1980ern zum Ergebnis, dass Betablocker nicht nur das subjektive Angstgefühl mindern, sondern auch ein gefürchtetes Stressanzeichen der Profis verhindert: Viele bekommen vor dem Auftritt einen trockenen Mund (sehr unangenehm). Man ließ in der Studie die Qualität der Darbietung von Fachleuten bewerten. Die Musik klang im Durchschnitt besser, wenn die Testpersonen zuvor ihr ärztlich verordnetes Doping geschluckt hatten.

Bevor jetzt alle zur Apotheke laufen, um sich ihre Packung Herzpillen zu besorgen: Inzwischen sind auch Studien erschienen, die verschiedene Gefahren und Nebenwirkungen solcher Medikamente dokumentieren. Bei Streichinstrumenten leidet womöglich das Vibrato. Manche fühlen sich auf einmal schwach und erschöpft.

Und weil die Frage eh auftaucht: Ja, auch bei Schul- und Uniprüfungen gibt’s Leute, die ihre Panikattacken mit Betablockern bekämpfen. Die Prävalenz schwankt stark von Studie zu Studie, je nachdem, über welches Fach wir reden, über welches Alter und welche Gegend der Welt. In einer Untersuchung an Medizinstudierenden in Saudi-Arabien lag die Quote bei 40 Prozent. An deutschen Schulen liegt sie sicherlich viel niedriger. Als Journalist finde ich das Phänomen faszinierend, ich würde diese Strategie aber nur sehr zögernd meinen (erwachsenen) Kindern empfehlen. Wenn jemand gar nicht mehr aus seiner Panik herauskommt, wenn Coaching und Therapie nicht mehr helfen, kann man vielleicht mal mit seinem Hausarzt oder seiner Hausärztin reden. Ich will das nicht verurteilen und empfinde es auch nicht als Betrug. Eher im Gegenteil: Ich finde, dass es eher das Lampenfieber ist, das betrügt. Es verwandelt leistungsstarke Schülerinnen und Schüler in welche, die ihre Sachen nicht gelernt haben.

Was hilft gegen Prüfungsangst und Lampenfieber? Wenn Ihr mehr darüber wissen wollt – gebt unserem Podcast ne Chance. Wir standen mit der Erstveröffentlichung der Folge in den Top-10 der deutschen Audible-Charts. Vielleicht findet Ihr dabei ja etwas, das Euch inspiriert.

2 Kommentare
  1. hans hinken
    hans hinken sagte:

    Ein guter Punkt, Jochen, den du da aufgreifst. Was kann helfen bei Lampenfieber oder Prüfungsangst ?
    Ein gewisses Maß an Lampenfieber ist normal und auch notwendig, wenn man auf die Bühne geht (als Schaupieler*in, Musiker*in oder anderweitige*r Performer*in). Das ist quasi die Arbeitstemperatur, um deinen Energielevel hochzufahren. wenn’s zuviel wird, kannst du mit Atemtechniken regulieren. Warum gleich mit Kanonen auf Spatzen schiessen? Das ist kein Grund für Betablocker! Als acting-coach an diversen Theatern habe ich damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
    Anders verhält es sich bei gravierenden Prüfungsängsten, die so hinderlich sein können, dass du erst garnicht zur Prüfung antrittst, obwohl du gut vorbereitet bist. Auch da können Entspannungstrainings im Vorfeld unterstützend helfen und Meditation. Prophylaxe ist hier der erste Schritt – aber wenn garnichts mehr hilft, dann ist der achtsame und dosierte Griff in die Medikamentenkiste die ultima ratio!
    Euren audible-podcast kann ich wärmstens empfehlen und ich frage mich, wann endlich die 3. Staffel beginnt – bei den sehr guten Kritiken !!

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