Ich bekomme nicht genug!

Ich trage eine Furcht in mir: „Ich bekomme nicht genug.“ Die Erkenntnis dazu kam so.

Im Mai hab ich bei einem Institut aus London eine Coaching-Ausbildung angefangen. Die Ausbildung dauert sechs Monate, sie kostet Geld, ich bezahle das alles selbst. Noch viel teurer wird die Sache durch das, was die BWL-Leute „Opportunitätskosten“ nennen:

  • Ich sitze im Unterricht
  • lese Bücher (die ich ansonsten nicht lesen würde)
  • lasse mich zu Übungszwecken von den Leuten in meiner Klasse coachen
  • coache wiederum zu Übungszwecken Leute aus meiner Klasse
  • besuche meine Mentoring Sessions
  • arbeite an einer neuen Website
  • poste Zeug auf Social Media
  • setze mich in den Park mit zwei Hockern und einem selbstgemalten Schild, auf dem „Free Coaching“ steht (weil’s ne gute Aktion ist und ich dabei mit Unbekannten üben kann)

Während ich das alle mache, kann ich nicht zugleich meinem Hauptberuf nachgehen. Ich muss das entweder zusätzlich machen (was Körner kostet) oder meine Arbeitszeit kürzen (was dazu führt, dass ich weniger Geld verdiene). Übrigens: Bis neulich hab ich gedacht, dass ich mein Geld mit dem Schreiben von Texten und mit Podcasts verdiene. Ein Jurist hat mich jetzt aber erleuchtet. Ich verdiene mein Geld in Wahrheit mit der „Überlassung von Nutzungsrechten“. Das Leben nimmt einem am Ende wirklich ALLES!

Ein Coaching hilft mir weiter

Jedenfalls hat mich gestern Lucy aus England gecoacht in unserer kleinen Zoom-Arbeitsgruppe. Ich bringe ein Thema ein, das mir Unbehagen bereitet. Eine Kleinigkeit im Grunde. Jemand schreibt mir ne Mail – ich bin genervt davon.

Lucy: Alles klar, Jochen. Was brauchst Du jetzt von unserer Sitzung?
Ich: Ich will wissen, wie ich am besten auf diese Mail reagiere.

Also fangen wir an und reden. Nach 20 Minuten die Einsicht: Die Mail interessiert mich im Grunde gar nicht. Mich interessiert die Frage: Warum bin ich genervt? Mir fallen plötzlich mehrere kleine Momente ein aus den vergangenen Tagen und Wochen, wo mich auch etwas geärgert oder aufgeregt hat. Immer hatte ich hinterher den Gedanken: „Eigentlich solltest Du Dich in dieser Situation nicht so fühlen. Du solltest da drüber stehen.“ Es gab da sozusagen noch ein sekundäres Unbehagen, das alles noch viel, viel unangenehmer gemacht hat. Kennen vermutlich alle.

Die Formel fürs Genervten

Jedenfalls bin ich am Ende unserer Sitzung zu einer Formel gekommen, um all diese Situationen aufzulösen. Offenbar laufe ich gerade durch die Gegend mit einem miesen Gedanken im Hintergrund. Der Gedanke lautet:

„Ich bekomme nicht genug.“

Lucy: Was möchtest Du stattdessen?
Ich: Ich möchte diese Sonnenbrille mit den giftgrünen Gläsern absetzen und sie ersetzen durch eine andere Brille.
Lucy: Was für eine Brille?
Ich: Eine andere Sonnenbrille. Sie hat gelbe Gläser. Sonnengelb.

Und zack! Die Schwere verlässt meinen Körper. Die Anspannung verfliegt. Ich möchte noch ein bisschen inneren Sommer haben. That’s it! Und ich will Menschen wieder mit mehr Liebe und Neugier begegnen. Denn das ist der Modus, in dem mir das Leben am besten gefällt. Mit Abstand am besten.

Herrje. Es klingt alles so kitschig.

Egal.

Ich sage mir jedenfalls:

Es wird schon reichen.

Brot im Brotkasten.

Zwei, drei Radieschen.

Was soll schiefgehen?

Ich werden genug bekommen.

Ich bekomme genug.

Später probiere ich es aus. Interessant: Ich muss mich darauf konzentrieren. „Setz die grüne Brille ab. Nimm die gelbe Brille.“ Sofort werden die Gespräche besser. Irre, wie der Mensch so funktioniert.

Mal sehen, wie die nächsten Begegnungen verlaufen. Und ob die gelbe Sonnenbrille auf der Nase bleibt. Denn wer weiß? Vielleicht reichen ihre Bügel ja gar nicht bis hinter die Ohren … 

Kommt gut durch die Woche, Ihr Tapferen!

2 Kommentare
  1. Susanne
    Susanne sagte:

    Lieber Jochen, ich gucke regelmäßig hier vorbei in der Hoffnung, dass es einen neuen Blogbeitrag gibt. Und freue mich heute ganz besonders über diesen! Den Trick mit der Brille muss ich auch mal ausprobieren, ob der bei mir auch funktioniert!
    Ich wünsche weiterhin viele tolle (Selbst)erkenntnisse, und liebe Grüße!

    Antworten

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert