Guckt mal wieder in alte Fotoalben und Tagebücher

Das ist der Tipp der Woche: Guckt mal wieder in alte Fotoalben und Tagebücher. Echt!

Dieser Tage krieg ich ne Nachricht von einem alten Freund und Kollegen, wir haben einander seit Monaten nicht gesehen. Er schreibt, dass er seine Jugend-Tagebücher wieder gelesen hat, er ist völlig begeistert. Erst hatte er Angst davor, sich seine alten Traumata anzugucken. Aber dann ging es ganz leicht, die Begegnung mit seinem früheren Selbst hat vieles aufgelöst in verblüfftem Gelächter.

Er schiebt den Satz hinterher, dass ich „unbedingt mal“ für Psychologie Heute ne Geschichte dazu machen soll.

Damit hat er komplett Recht. Wie es der Zufall will, hab ich genau so eine Geschichte gerade für Psychologie Heute gemacht, ein Interview für die Titelstory in der Juni-Ausgabe 2024, die seit heute am Kiosk liegt. Wie immer der Aufruf: Wenn Ihr Euch für Psychologie interessiert – gehet ihn und kaufet alle. Steht wieder ne Menge drin, wirklich.

Und dann: Ist es nicht ulkig, wie Themen auf einmal durch die Luft schwirren und einem von allen Seiten begegnen? Diese Synchronizität, die da manchmal aufblitzt? Ganz kurios.

Im Interview rede ich jedenfalls mit der Psychotherapeutin Barbara Rabaioli-Fischer aus München über biografisches Arbeiten und Lebensrückblicke in der Psychotherapie. Das Gespräch mit ihr hat ne Menge Spaß gemacht. Sie ist schon lange an Bord und ne coole Socke, wir haben viel zusammen gelacht.

Ich kann hier (leider) nicht den ganzen Artikel spoilern.

Trotzdem ein kurzer Abriss: Wie geht diese Methode? Ich blättere durch ein altes Fotoalbum, ich sehe auf den Bildern das Kind, das ich war, sehe Großeltern, Eltern, Geschwister, Verwandtschaft, Nachbarn, Klassenfotos. Wer waren diese Menschen für mich? Wer ist der blasse Junge, der mir da entgegenblickt?

Alte Bilder beamen uns mit Lichtgeschwindigkeit zurück durch die Zeit. Ein Sekundenbruchteil genügt, um in alte Filme zu kommen.

Tagebücher sind etwas komplizierter. In ihrem Buch „Biografisches Arbeiten und Lebensrückblick in der Psychotherapie“ schreibt Barbara Rabaioli-Fischer: Wer in seine alten Aufzeichnungen einsteigt, findet dort auf einmal die alten inneren „Verbote, Gebote und Antreiber“, die uns als Erwachsene vielleicht nicht mehr so leicht zugänglich sind. Das Buch ist übrigens kein Bestseller, kein Selbsthilfebuch, es richtet eher an Fachleute. Trotzdem (oder: gerade deshalb?) steht ne Menge drin.

Wie lange soll man eintauchen in die alten Quellen? Die Therapeutin empfiehlt, sich einen Wecker zu stellen, der nach 30 Minuten klingelt. Denn ungefähr ab dann erlahmt bei den meisten die Konzentration, man driftet ab mit seinen Gedanken. Nun ja. Ich persönlich glaube nicht, dass ich meine alten Aufzeichnungen schon nach einer halben Stunde aus der Hand legen möchte. Trotzdem: So ist es wohl besser. Es klingelt, man schließt die alte Kladde, kocht sich nen Kaffee und wartet, was das Gelesene mit einem anstellt. Man macht sich Notizen: Welche Passagen berühren mich besonders stark? Diese Sätze kann man dann mitbringen zur nächsten Therapiesession oder ins nächste Coaching.

Also, guckt mal wieder in alte Fotoalben und Tagebücher. Oder hört Euch alte Kassetten an, die Ihr in Eurer Jugend aufgenommen habt. „Da hören Sie plötzlich Ihre Stimme von früher, dabei geht einem dann die Pumpe, da schlägt das Herz plötzlich schneller“, sagt die Therapeutin.

Klar: So eine Arbeit kann man ganz gut allein und für sich machen, wie mein alter Kollege das gehandhabt hat. Vermutlich ist es aber besser, sich ab einem gewissen Punkt noch ein Gegenüber dabei zu haben – alte Freundinnen oder Freunde aus Kindheitstagen, vielleicht ein Familienmitglied, vielleicht geht man damit auch ins Coaching oder in eine Therapie.

Guckt mal wieder in alte Fotoalben und Tagebücher. Das schafft Momente der Einsicht, der Klarheit, der Begegnung mit uns selbst. Denn bis zu einem gewissen Grad bleiben wir uns alle ja selbst ein Rätsel, so lange wir leben. Wie gehen weiter, das Wundern hört niemals auf.

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