Carl Rogers und das Zuhören

In der März-Ausgabe von Psychologie Heute steht eine Geschichte von mir über Carl Rogers und das Zuhören (hier im link kostenlos zu lesen für Menschen mit PH-Abo). Und wie so oft bei größeren Geschichten stecken dahinter ein paar autobiografische Bezüge. Ich hau jetzt einfach mal ein paar davon raus.

Der erste Bezug: Vor ziemlich genau zwei Jahren bin ich in San Francisco bei der SPSP (das ist eine große psychologische Forschungskonferenz) in einen Vortrag geschlittert, den ein Psychologe aus Israel zuvor per Video aufgezeichnet hatte. Irgendwie war noch Corona und er ist lieber zu Hause geblieben. Der Mann hieß Guy Itzchakov und er redete die ganze Zeit über die Psychologie des Zuhörens und seine Studien dazu. Ich fand das extrem interessant, hab eifrig mitgeschrieben und mir vorgenommen, irgendwann mal ein Interview mit ihm zu machen. Im März 2023 hab ich dann angefangen, ein paar Veröffentlichungen von Guy zu lesen, mich in seine Welt hineinzudenken und mich mit Carl Rogers zu befassen, der zu den meistzitierten Psychologen des 20. Jahrhunderts gehört. Rogers war ein radikaler Zuhörer. Er glaubte, dass wir sozusagen zu uns selbst kommen, wenn uns jemand bedingungslos wertschätzend zuhört, Rogers hat das bis an die Grenzen der Selbstaufgabe gemacht, er war ein mutiger Mann, in dieser Hinsicht auch viel mutiger als z.B. Sigmund Freud. Guy Itzchakov hat die Psychologie von Carl Rogers jedenfalls empirisch überprüft und zwar umfangreicher und systematischer, als das bislang gemacht worden ist.

Der zweite Bezug: Im Mai 2023 hab ich eine Coaching-Ausbildung bei Animas in London angefangen. Die Leute bei Animas denken sehr eklektisch, sie holen sich ihre Werkzeuge hemmungslos aus allen möglichen Schulen der Psychologie, ohne Scheu vor den theoretischen Differenzen, welche die Psychologie ja bis heute zu einer sehr uneinheitlichen Disziplin machen. Im Kern hat sich die Ausbildung dann aber doch am humanistisch-klientenzentrierten Ansatz von Carl Rogers orientiert. Mir sind Rogers und das Zuhören also zwei Mal begegnet in relativ kurzer Zeit. Naja. Eigentlich drei Mal. Denn im Herbst zuvor ist mir ein sehr skurriles Zuhör-Erlebnis widerfahren. Wir sollten uns für eine Übung paarweise zusammenfinden und über ein Thema reden, bei dem wir uns inhaltlich nicht einig waren. Person A sollte ihren Standpunkt darlegen, Person B sollte das Gesagte danach in eigenen Worten wiederholen. Ich dachte zunächst: „Gäääääähhhhhhhn. Die Übung ist ja uralt. No big deal.“ Das Spannende war dann aber, dass mein Gegenüber ganze vier Versuche brauchte, um meinen Punkt so zu wiederholen, dass ich sagen konnte: „Genau das habe ich gemeint.“ Mein Gegenüber war ein extrem wohlwollender, kommunikationsstarker und intelligenter Mensch. Das alles hat mich sehr ins Nachdenken gebracht. Zuhören ist viel schwieriger, als man denkt.

In der Coaching-Ausbildung haben wir das Zuhören ganz tüchtig geübt. Man coacht dann jemanden und die ganze Klasse guckt und hört zu und sagt einem hinterher, wo noch mehr gegangen wäre. Es geht ja immer und ständig noch mehr. Manche Sessions hab ich auch aufgezeichnet, eine Mentorin ist dann Schritt für Schritt mit mir durch die Sitzung gegangen. Auch das ist in der Regel eine demütigende Erfahrung. So vieles geht einem durch die Lappen, auch wenn man sich große Mühe gibt.

Ich habe die Power hinter dem Zuhören sehr unterschätzt und bilde mir auch ein, seit dem Coaching-Training bessere Gespräche zu haben und manchmal auch bessere Interviews zu führen. Bin ganz sicher auch ein besserer Coach geworden.

Naja. Falls Ihr Euch für Carl Rogers, seine Haltung, seine Story und die neue Forschung über das Zuhören interessiert: Lest den Artikel, kauft Euch die neue Psychologie Heute – und erzähl mir hinterher, was Ihr darüber denkt. Ich hör Euch gerne zu, versprochen.

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